Selbsttherapie, Lerntraining und Bewusstseinsarbeit im Traum

Klartraum - Luzides Träumen

Selbsttherapie, Lerntraining und Bewusstseinsarbeit im Traum
© Pixabay

von Martina Seifert, Texterin, Lektorin, Yogalehrerin
(letzte Überarbeitung: 01. Dezember 2023)

Träume faszinieren uns Menschen seit vorgeschichtlicher Zeit. Sie verschaffen uns einen Einblick in die mysteriöse Welt des Unterbewussten und können uns mit Gefühlen konfrontieren, die wir mit unserem Alltagsbewusstsein nicht wahrnehmen. Kontrollieren können wir unsere Träume aber meist nicht, - es sei denn, wir erlernen das Klarträumen oder luzide Träumen.

Was ist Klarträumen?

Im Klartraum werden wir uns des Träumens bewusst und können es steuern. Wir schreiben selbst das Drehbuch unseres Traumes und bewegen uns in einer Welt, die nur durch die Grenzen unserer eigenen Vorstellungskraft begrenzt ist.

Prinzipiell ist jeder Mensch in der Lage, Klarträume herbeizuführen. Laut Studien der Psychologin und Klartraumforscherin Prof. Dr. Ursula Voss träumen Kinder noch natürlicherweise luzide. Als Erwachsene haben wir, so Voss, das luzide Träumen größtenteils verlernt und müssen es nur wieder neu erlernen. Eigentlich können wir bereits luzide träumen. ( Quelle: br.de)

Um Klarträumen wieder zu erlernen, bedarf es verschiedener Techniken. Die Praxis, einen luziden Traum zu induzieren und zu steuern, stellt uns jedoch vor einige Herausforderungen und erfordert sehr viel Übung und Geduld. Der deutsche Psychologe, Traumforscher und Sportwissenschaftler Paul Tholey entwickelte einige Methoden, die in seinem populärwissenschaftlichen Buch „Schöpferisch träumen“ (s.u.) zu finden sind, mit denen wir das Klarträumen wieder lernen können.

Wissenschaftlicher Hintergrund des Klarträumens

Die wissenschaftliche Erforschung des luziden Träumens hat zwar erst in den letzten Jahrzehnten begonnen und steckt noch in den Kinderschuhen, liefert uns aber bereits einige Einblicke in diese Form des selbstgesteuerten Träumens. Ein wichtiger Meilenstein in der Forschung ist die Entdeckung, dass Klarträumen in der Rapid Eye Movement (REM)-Schlafphase stattfindet. Während dieser Phase sind die Gehirnaktivität und die Augenbewegungen ähnlich wie im Wachzustand. Diese Erkenntnis führte zu der Hypothese, dass Klarträumen mit einem erweiterten Bewusstseinszustand verbunden ist.

Eine Studie, die der britische Psychologe Keith Hearne 1975 durchführte, legte einen der Grundsteine für die wissenschaftliche Erforschung des Klarträumens. Hearne zeigte, dass Klarträumer:innen in der Lage sind, vorab festgelegte Augenbewegungen im Traum auszuführen, die von außen beobachtet werden können. Dies ermöglicht es, Klarträume von normalen Träumen genau zu unterscheiden und ihre Existenz zu belegen. Unabhängig von Keith Hearne leisteten etwa zeitgleich der US-amerikanische Psychologe Stephen LaBerge und die britische Psychologin Celia Green bedeutendes auf dem Gebiet der modernen Klartraumforschung und kamen zu denselben Ergebnissen wie Hearne.

Laut neuerer neurowissenschaftlicher Studien ist das Klarträumen mit bestimmten Gehirnregionen und neuronalen Mustern verbunden. Der präfrontale Kortex, der für die Kontrolle von Entscheidungen und das Selbstbewusstsein verantwortlich ist, scheint während des Klarträumens besonders aktiv zu sein. Daraus lässt sich schließen, dass das Phänomen des Klarträumens eine einzigartige Möglichkeit bietet, das menschliche Bewusstsein und die Selbstwahrnehmung zu erforschen.

Selbsttherapie und -fürsorge durch Klarträume

Klarträumen kann nicht nur zur Selbsttherapie und Heilung beitragen, sondern auch unser Bewusstsein erweitern und eingefahrene Vorstellungen von Realität, Bewusstsein und Selbstbild grundlegend verändern. In einem Klartraum können Träumende in eine sichere Umgebung eintauchen, um Ängste zu überwinden oder emotionale Probleme zu lösen. Luzides Träumen hat bei der Therapie von Albträumen, die oft bei Menschen ohne Erfahrung mit Klarträumen vorkommen können, bereits Wirkung gezeigt. Celia Green und Stephen LaBerge haben beeindruckende Fallbeispiele dazu dokumentiert, in denen Träumer:innen während eines Albtraums bewusst wurde, dass sie träumen. Diese Erkenntnis ermöglichte es ihnen, den Verlauf des Albtraums in eine heilsamere Richtung zu lenken. Auch Ursula Voss, die u. a. die Schlaf- und Trauma-Ambulanz am psychiatrischen Krankenhaus Vitos Hochtaunus leitet, trainiert mit Erfolg traumatisierte Patient:innen, die unter Albträumen leiden.

Inzwischen wurden zahlreiche Methoden entwickelt, um persönliche Konflikte, die im Traum als beängstigend empfunden werden, mithilfe eines Klartraums in positive, integrierende Lösungen zu transformieren. Im Klartraum können wir bewusst mit Symbolen, Figuren oder Situationen interagieren, um tief verwurzelte Emotionen zu erkunden und unbewusste Konflikte anzugehen und aufzulösen.

Motorisches Lernen

Paul Tholey entwickelte zudem erfolgreiche Techniken, um im luziden Traum komplexe Bewegungsabläufe zu erlernen, darunter Sportarten wie Kunstrad, Skateboard oder Snowboard. Durch bewusstes Wiederholen eines bestimmten Bewegungsablaufs kann dieser im Klartraum perfektioniert werden. Tholey wandte diese Technik auch bei Spitzensportler:innen an.

Traumforscher Daniel Erlacher, Professor an der Universität Bern, beschäftigt sich ebenfalls mit der Anwendung der Schlaf- und Traumforschung zur Verbesserung von bestimmten Bewegungsabläufen wie im Sport. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit für das Training im Klartraum könnte laut Erlacher auch der Reha-Sport sein, um das ursprüngliche Leistungsniveau der Patient:innen leichter aufrechtzuerhalten bzw. wiederherstellen zu können.

Bewusstseinserweiterung durch Klarträumen

Klarträume bieten nicht nur therapeutische Vorteile, sondern eröffnen uns auch die Möglichkeit, unser Weltbild zu überprüfen und die Grenzen des Bewusstseins zu erkunden, indem wir die Realität der Traumbilder hinterfragen und verändern und außergewöhnliche Erfahrungen machen.

Ein zentrales Element der Bewusstseinserweiterung durch Klarträume ist die Fähigkeit, die Realität, die wir im Wachbewusstsein gewöhnlich als gegeben annehmen, infrage zu stellen und zu verändern. Wir erkennen, dass unsere Sinne und unser Bewusstsein manipulierbar sind. Darüber hinaus können wir im Klartraum unser Bild von uns selbst, wer wir sind, und unsere vermeintliche Identität erkunden, indem wir beispielsweise mit verschiedenen Identitäten und Perspektiven experimentieren. Dies kann uns zu einem tieferen Verständnis des eigenen Selbst und der Vielschichtigkeit des Bewusstseins führen.

Luzides Träumen und Meditation

In mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen wurde eine signifikante Korrelation zwischen regelmäßiger Meditation und der Häufigkeit von Klarträumen nachgewiesen. Einige Meditationserfahrungen weisen große Ähnlichkeit mit luziden Träumen auf, wie eine Studie von 2019 zeigt. Eine Studie von Stumbrys et al. (2015) ergab zudem, dass die Praxis der Achtsamkeits-Meditation im Wachzustand mit vermehrtem Auftreten von Klarträumen korreliert.

Beide Techniken, die Meditation und der Klartraum, fokussieren sich auf den gegenwärtigen Moment, und unterstützen sich wechselseitig. Die Kombination von Klartraum, Meditation und Introspektion eröffnet uns ganz neue Wege zur Selbstentdeckung und persönlichen Entwicklung. Es ist eine Reise in die Tiefen unseres Geistes, um die Grenzen des Möglichen zu erforschen und Antworten auf existentielle Fragen wie "Wer bin ich?" und "Was ist Realität?" aufzuspüren.

Traumyoga

Luzides Träumen wird weltweit seit Jahrhunderten in verschiedenen Kulturkreisen praktiziert, wobei sich die damit verbundenen Ziele teilweise erheblich voneinander unterscheiden.

Die ausgefeilte Technik des Traumyoga bildet einen festen Bestandteil der Sechs Lehren des Naropa, eine Praxis des Vajrayana, einer bereits im 4. Jahrhundert entstandenen Strömung des Mahayana-Buddhismus. In der tibetisch-schamanischen Bön-Religion, - die vorherrschende Religion der Tibeter:innen, bevor sich der Buddhismus als Staatsreligion im 8. Jahrhundert etablierte -, existiert eine eigenständige Übertragung des buddhistischen Traumyogas. Traumyoga stellt eine erweiterte Form der Meditation dar und strebt danach, sich im Traum ein waches Bewusstsein zu bewahren, um geistige Klarheit zu erlangen. Es zielt darauf ab, die wahre Natur des Geistes, die sogenannte Buddha-Natur, zu erkennen.

Aber auch im Sufismus des 12. Jahrhunderts sowie in der Antike und im Christentum finden sich Überlieferungen zum Klarträumen.

Fazit

Klarträumen ist mehr als nur ein faszinierendes Phänomen. Es ist eine wissenschaftlich erforschte Praxis, die als Form der Selbstfürsorge und -therapie sowie zur Bewusstseinserweiterung genutzt werden kann. Luzides Träumen fordert unsere Vorstellung von Realität, Bewusstsein und Selbstbild heraus und bietet uns auch eine einzigartige Gelegenheit zur Erforschung des Bewusstseins. Die transformativen Erfahrungen öffnen uns die Tür zu einem neuen Verständnis von uns selbst und der Welt, können unser persönliches Wachstum sowie unser Selbstvertrauen stärken und einen heilsamen Einfluss auf unsere körperliche und geistige Gesundheit nehmen.

Empfehlenswerte Bücher zum Thema Klartraum

Das 1980 erstmals in Deutschland erschiene Buch der US-amerikanischen Psychologin und Traumforscherin Patricia Garfield gibt uns viele Techniken zum luziden Träumen an die Hand:
Patricia Garfield: Kreativ träumen. München 1980 (zzt. nur noch antiquarisch erhältlich)
Stephen LaBerge verschafft uns einen tiefen Einblick in Ursprung und Geschichte des luziden Traumes. Hinzu kommen Techniken und beeindruckende Fallbeispiele:
Stephen LaBerge: Anleitung zum Klarträumen. Die nächtliche Traumwelt selbst gestalten. Paderborn 1987 (zzt. nur noch antiquarisch erhältlich)
Der tibetische Autor, Historiker und Dzogchen Meister Namkhai Norbu lehrt uns dezidiert die komplizierte Methode des Traum-Yoga:
Namkhai Norbu: Traum-Yoga. Träume bewusst lenken – der tibetische Weg zu Klarheit und Selbsterkenntnis. München 1998 (zzt. nur noch antiquarisch erhältlich)
Das Buch von Paul Tholey liefert ebenfalls eine Übersicht zur Geschichte des Klartraumes und enthält sämtliche von ihm entwickelte Methoden zur Praxis:
Paul Tholey; Utecht Kaleb: Schöpferisch träumen. Wie Sie im Schlaf das Leben meistern: Der Klartraum als Lebenshilfe. Eschborn 1987 (zzt. nur noch antiquarisch erhältlich)
Antiquarische Bücher bietet u. a. der Marktplatz für Bücher, Hörbücher, Filme, Musik und Spiele booklooker.de

Weitere Tipps zu Fach- und Sachbüchern rund um den Klartraum sowie Möglichkeiten zum Austausch mit anderen Klarträumer:innen und Übenden sind auf den folgenden Internetseiten zu finden: klartraum-wiki.de und klartraumforum.de

Ein Artikel von Martina Seifert

Freie Autorin, Text, Lektorat

Hegede 6
33617 Bielefeld

www.martinaseifert.de

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