Gedanken zu einem fatalen Schönheitsbegriff

Gesundheit macht schön

Gedanken zu einem fatalen Schönheitsbegriff
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von Conny Dollbaum-Paulsen

Vielleicht gab es niemals so viele Möglichkeiten, die eigene Schönheit zu schönen und sicher gab es niemals so viele Möglichkeiten, gesünder als gesund zu leben. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

Bin ich schön?

Wer den aktuellen Schönheits-Trends gerecht wird, hat gute Karten und einige Vorteile: schöne Menschen werden freundlicher behandelt, haben bessere Chancen im Job und bei Bewerbungen, werden als klüger wahrgenommen. Schöne Menschen scheinen zudem auch noch gesund zu sein, weil Gesundheit und Schönheit in unseren unbewusst wirksamen inneren Weltzuschreibungen untrennbar miteinander verbunden sind. Gesunde Menschen werden gerne bewundert, weil sie fit sind, willens- und leistungsstark, nicht altern wie wir normalsterblichen Mittelschönen und gegen den Unbill des Lebens scheinen sie insgesamt gut gewappnet zu sein. Da kommt Neid auf, oder? Und Stress...

Schönheit, Fitness und Erfolg sind in den Sozialen Medien, auf Werbepostern und im Film wie selbstverständlich miteinander verwebt. Wer schön ist, ist auch fit, wer gesund ist auch schön – und wer weder das eine noch das andere ist, soll sich gefälligst bemühen, das zu ändern.

Mich besorgt das, weil auch immer mehr „von uns“, also Menschen, die Ganzheitliches anzubieten haben, mit im Boot sitzen. Der Sog von Insta und Co verbunden mit den Zauberworten wie Reichweite und Präsenz führen meinem Gefühl nach dazu, dass Schönheit, Fitness und Gesundheit immer dichter zusammenrücken. Und das Geschäft der Selbstoptimierung unfreiwillig immer weiter anheizen. Und das finde ich, ja: Besorgnis erregend.

Das Diktat von Schönheit & Gesundheit

Insta und Co sind maßgeblich daran beteiligt, Schönheitsbilder und damit auch gesellschaftliche Normen zu prägen – Influencer:innen und Streamer:innen verdienen unfassbar viel Geld damit, sich bei der permanenten Selbstoptimierung zugucken zu lassen. Und das zu feiern. Junge Menschen lernen Tricks, schöner zu wirken als sie sind und sie lernen auch, ganz nebenbei, dass Schönheits-Chirurgie so etwas ähnliches ist wie Tages-Make-up, also selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Und dass ungeschminkte Menschen nicht einfach ungeschminkt, sondern ungepflegt sind – und das ist ein Werturteil mit krassen Folgen.

Schlimmerweise ist es mit Gesundheit ähnlich: gesund zu sein ist ein Persönlichkeitsmerkmal, dem nachgeholfen werden kann. Mit Smoothies, Nahrungsergänzung, Trendsport, Fitness-Yoga, Joggen...ausgerüstet mit Smart-Watch und Fitness-Trackern geht es Tag für Tag anscheinend weniger darum, sich im eigenen Körper wohl und zu Hause zu fühlen, sondern darum fit zu sein. Es ist sicher kein Zufall, dass die Nazis im dritten Reich viel Wert auf Gesundheit und körperliche Fitness legten – und dass das Schönheitsideal der blonden Arier einen großen Teil der Menschheit als unwert aussortieren konnte.

Und ja, eine voll industrialisierte Welt wie unsere, die sich hauptsächlich per Bild vermarktet, braucht attraktive, smarte und gesunde Menschen, die sich und das Produkt gut verkaufen können und wollen. Und zack, sind wir nicht mehr nur bei oberflächlichen Themen wie Schönheit und Mode, sondern bei relevanten gesellschaftspolitischen Entwicklungen.

Gesunder Körper gesunder Geist?

„In einem (schönen) gesunden Körper wohnt ein (schöner) gesunder Geist“ - dieser Spruch aus der Nazi-Zeit wird in Gesundheitszirkeln immer noch oft benutzt, was ihn nicht wahrer macht. Körper sind so unterschiedlich wie Menschen und darin insgesamt wenig normgerecht, auch wenn wir uns dass so sehr anders wünschen. Der Geist darin ist bei den meisten Menschen gestresst von nicht enden wollenden Wünschen nach mehr Freizeit, mehr Geld, passenderen Lebensumständen – gesund fühlt sich das meist nicht an. Eher ohnmächtig.

Krank sein ist unschön. Alt werden und sterben auch.

Ja, das stimmt. Wer krank ist, hat meist mit Symptomen zu tun, die unangenehm auszuhalten sind, mit Schmerzen, Schwäche, Unwohlsein – da hängen die Mundwinkel unattraktiv Richtung Boden...Wir wickeln uns seufzend (auch nicht attraktiv) in wenig präsentable Schlafgewänder und werden unsichtbar, bis wir wieder gesund sind. Wer krank oder müde aussieht, soll zu Hause bleiben und sich ausruhen – das wird schon wieder. Wer krank und müde ist, ist sichtbar wenig leistungsfähig. Und das, das geht ja gar nicht. Ich kenne das Gefühl gut. Du auch?

Alte Menschen werden zunehmend unförmig, langsamer in der Bewegung, haben Haare aus den Ohren gucken und keine mehr auf dem Kopf, sind blass, haben Tränensäcke und vielleicht auch noch Diabetes. Mit Zehen, die absterben. Wer will das sehen? Niemand.

Ganz anders in der Werbung – da sind alte Menschen, sog. Role-Models, attrattive Opas und Omas, die auf hippen Fahrrädern durch die Lande cruisen oder Tanzkurse machen – alles in Butter: sie sind gesund und fit und schön und alles ist gut. Ist das so?

Hässlichkeit als Politikum

Moshtari Hilal ist Künstlerin, Kuratorin, Autorin und hat sich intensiv mit dem Thema Schönheit und Hässlichkeit auseinandergesetzt. Sie erforscht den Mythos vom Schönheits-Ideal, der ebenso kulturell wie historisch geprägt ist. So ist es nämlich keineswegs so, dass Schönheit immer und überall auf der Welt von allen Menschen übereinstimmend gleich empfunden wird. Die Normen von Schönheit und Gesundheit festzulegen waren und sind Privilegien der Macht, was schön ist und was als gesund empfunden wird, ist Teil eines gesellschaftlichen Weltbildes. Und änderbar.

Pech, wenn die Nase zu groß, der Bauch zu dick, die Brüste zu platt, das Kinn zu lang, die sichtbare Herkunft nicht-weiß ist. Pech, wer depressiv durch die Gegend schlurft, wer mit Rheuma zu tun hat und verkrüppelte Hände hat. Wer nicht die richtige Kleidung trägt. Krankheit und Tod sind nicht gut wegschminkbar – und das ist ein Problem für die meisten von uns. Moshtari Hilal deckt auf, wie eng die Schönheits- und Gesundheitslinien um uns herum gezogen sind. Und warum es Zeit wird, wach zu werden.

Ganzheitliche Gesundheit und die Schönheit: ein Thema

Glatte Haut zu haben ist schön, auch glänzende Haare machen was her, ebenso wie makellose Fingernägel und strahlende Augen. Das alles kann mit Gesundheit im engeren Sinn zu tun haben, weil wir uns gut fühlen, wenn wir glatt und rein und strahlend aussehen. Wir können aber auch körperlich ziemlich eingeschränkt sein, vielleicht im Rollstuhl sitzen oder haarlos sein, mit hässlichen Hautzeichen zu tun haben und uns dennoch in der Tiefe heil fühlen. Heilung zu finden bedeutet, mehr als gesund zu sein, Heilung finden wir in der einzigartigen Lebendigkeit des Augenblicks. Und wenn wir selbstwirksam leben können.

Selbstwirksamkeit zu erfahren ist ein gesellschaftliches Privileg. Darüber spricht Moshtari Hilal ausführlich und eindrucksvoll. Sich damit auseinanderzusetzen, was wir bereit sind zu tun, um schön und gesund auszusehen, ist ein Riesen-Thema, dass wir im Rahmen ganzheitlicher Gesundheit dringend unter die Bewusstseins-Lupe nehmen sollten. Damit die unmittelbar erkannte Schönheit des Lebendigen aufblitzen darf...

Podcast: Alexandra Freidrich im Gespräch mit Moshtari Hilal

https://www.ndr.de/kultur/epg/Das-Gespraech,sendung1372952.html


Dieser Podcast wirkte als Initial-Inspiration für diesen Artikel.

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